Psychologe: "Heute bist du immer eher einer zu viel" - derStandard.at, 12.02.2016

Franz Oberlehner über Konkurrenz, den Kampf um Studienplätze und die Schwierigkeit, im "Erwachsenenleben" anzukommen

STANDARD: Wenn 26 Bewerber um einen Studienplatz kämpfen: Was macht das mit ihnen?

Oberlehner: Jene, die sich durchsetzen, können sich in der Regel über ganz gute Studienbedingungen freuen. Sie finden eine weniger durch Stress und Konkurrenz erfüllte Studiensituation vor. Bitter ist es aber für die, die nicht genommen werden.

STANDARD: Weil das ganz schön am Selbstbewusstsein nagt?

Oberlehner: Natürlich tut es das. Außerdem: Wenn man nicht das machen kann, was man eigentlich gerne machen würde, muss man sich einen anderen Weg suchen.

STANDARD: Viele versuchen etwa die Zeit bis zum nächsten Auswahlverfahren an der Uni zu überbrücken.

Oberlehner: Zum Beispiel. Und dort sind sie dann oft hoch unzufrieden, überfordert und verlieren auch noch einige Jahre. Das ist eine sehr prekäre Situation, die das Ankommen im "Erwachsenenleben", wenn man es so nennen mag, weiter erschwert. Das ist aus meiner Sicht fast das größte Problem: dass es so wenig Platz im Erwachsenenleben gibt. Kennen Sie den Begriff des "psychosozialen Moratoriums"? Er besagt, dass es wichtig ist, zwischen dem Jugendlichsein und dem Erwachsensein eine Zeit zu haben, wo man sich ausprobieren kann und alles noch nicht ganz so ernst ist. Das Interessante: Das können sich die jungen Menschen heute viel weniger zugestehen als früher – es wird ihnen auch viel weniger zugestanden. Die Erwartungen sind, dass man gleich volle Leistung bringt. Zugleich entkommt man aber dem Stadium, wo man um Studienplätze kämpfen muss oder ein Praktikum nach dem anderen macht, nicht.

13. Feb. 2016
13. Feb. 2016