Klage eines Hochschullehrers: Studienanfänger – leseschwach und verantwortungsscheu - FAZ.net, 24.02.2016

Ein Professor lässt Frust ab: Warum sind Studenten so mutlos und verzweifelt, wenn es Widerstände gibt? Und wo sind Neugier und Abenteuerlust geblieben? Ein Gastbeitrag zum Mitdiskutieren.

n den nächsten Tagen begrüßen wir an den Hochschulen wieder die neuen Studentinnen und Studenten. Drei Phänomene fallen an den Studienanfängern von Semester zu Semester mehr auf: ihre elementare Leseschwäche, ihre verzweifelte Verstehenswut sowie ihre strategische Verantwortungsvermeidung. Eine äußerst unglückliche Kombination.

Das Problem der Leseschwäche lässt sich folgendermaß en umreißen: Auch ich bewege mich in Textwelten des Durch- und Querblätterns, des Hervorgehobene-Schlüsselsätze-Überfliegens, des Abstracts- und Zusammenfassungen-Aufschnappens, des Verschlagwortens und Kurzfassens. Und ich beherrsche und genieße das! Aber ich kann auch umschalten auf längere, komplexe Texte, die am Stück ausgehalten werden wollen über sperrige, sich nicht sofort erschließende Worte und Satzbausteine hinweg, wo sich alle Sinnspuren verlieren, würde man alles häppchenweise verstehen und jedes fremde Wort sofort googeln wollen.

Dieses auf Ausdauer ausgelegte Wandern durch anspruchsvolles Textgelände hat einen besonderen Reiz, den ich auch kenne, beherrsche und genießen kann. Noch gilt das Lesen von komplexen Texten offiziell als wissenschaftliche Grundtechnik. Sehr viele Erstsemester haben jedoch unabhängig von der Muttersprache damit große Schwierigkeiten. Offensichtlich mussten die neuen Studentinnen und Studenten schon lange nicht mehr sinnerfassend lesen. Einige beherrschen zwar die Lesetechnik ganz gut, nutzen sie aber nur als Bluff. Sie klingen wie mein Navigationsgerät. Was soll man damit anfangen?

24. Feb. 2016
24. Feb. 2016