Das Buch, der "Goldstandard in den Geisteswissenschaften" - derStandard.at, 01.02.2016

Der Wissenschaftshistoriker Michael Hagner über Lesen und Recherchieren in digitalen Zeiten, Open Access und darüber, was nur Bücher können.
STANDARD: Durch die Digitalisierung hat sich in den vergangenen Jahren die Arbeitspraxis der Geisteswissenschaften stark verändert. Wie haben Sie das selbst erlebt?
Hagner: Als ich Mitte der 1980er-Jahre in Berlin für meine medizinhistorische Dissertation recherchierte, waren die meisten Traktate aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die ich benötigte, nicht vor Ort vorhanden. Also musste ich nach München, Göttingen, Wien, ja sogar nach Florenz reisen. Den ersten Entwurf habe ich mit der Hand geschrieben, den zweiten in eine IBM-Kugelkopfschreibmaschine getippt. Damals dachte ich noch, dass das die richtige Reihenfolge ist. Dann aber arbeitete ich an einem physiologischen Institut, wo bereits ein Commodore herumstand. Also habe ich meine Dissertation 1986 in einen Computer getippt. Seitdem schreibe ich am Computer.
STANDARD: Hat sich auch Ihre Recherchepraxis "digitalisiert"?
Hagner: Das erste Buch, bei dem ich systematisch auf Digitalisate und auf Google-Books-Suchen zurückgegriffen habe, war "Der Hauslehrer", das 2010 erschien. Darin rekonstruiere ich einen Kriminalfall vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Suchmöglichkeiten im Netz waren sehr nützlich, denn auf diese Weise habe ich Literatur aus der damaligen Zeit entdeckt, die ich ohne Google wohl nicht gefunden hätte.

1. Feb. 2016
1. Feb. 2016